Dienstag 9. März '10


Jazz oder nicht?

In Sigüenza erobert ein Konzertgänger polizeilich sein Recht.

Das Jazzfestival im kastilischen Sigüenza liegt schon einige Wochen zurück,  in Vergessenheit geraten ist es freilich nicht.
Im Gegenteil. Zur Erinnerung: Wegen eines mutmaßlichen Falles von Etikettenschwindel hatte ein Festival-Besucher die Guardia Civil gerufen, Spaniens paramilitärische Polizei, ansonsten eher auf Verkehr und Terrorabwehr spezialisiert.
Die Musik, die „Larry Ochs Sax & Drumming Core“ darboten, sei gar kein Jazz, argumentierte der Mann. Sondern „zeitgenössische Musik“, die ihm „psychologisch kontraindiziert“ sei.
Er wolle sein Geld zurück.
Ein Zivilgardist hörte ein paar Takte zu – und kam zu dem Schluss, dass Ochs‘ Musik tatsächlich kein Jazz sei, sondern zeitgenössischkreativ, ein Richter solle sich um den Fall kümmern.

Lange war gerätselt worden, wer dieser Jazz-Purist war, nun hat er sich in der Zeitung El Pais offenbart: als Rafael Gilbert, 42jähriger, in Madrids Industriegürtel ansässiger Mechaniker.
Auslöser dafür war Wynton Marsalis. Der genialisch veranlagte US-Trompeter, der in seinem Leben bekanntermaßen diverse Polemiken zur Reinheit der Jazz-Lehre geführt hat, versuchte, den Spanier über Zeitungen ausfindig zu machen, um ihn mit seinem kompletten Plattenkatalog zu beschenken.
Mittlerweile tobt in der Jazz-Szene eine kuriose Polemik: Internetforen haben sich mit Kommentaren gefüllt, diverse Jazzer haben sich geäußert, einer von Och’s Trommlern, Stuart Amendola, ätzte, Marsalis suche billige Publicity. „Ichbinverblüfft“, sagt Gilbert.
Zum Jazz scheint er eher spät gekommen zu sein.
Vor einigen Jahren habe er seiner Frau ein Saxophon geschenkt, nun sei die Autodidaktin Mitglied der Big Band von Möstoles.
In Sigüenza sei man zufällig gewesen, als man das Konzertplakat sah, habe man beschlossen, zu bleiben.
Mit fatalen Folgen: „Zehn Minuten nach Konzertbeginn wurde ich nervös.
Sehr nervös. Ich konnte nicht mehr“.
Der Free Jazz sei eine Musik, die den Menschen reize, wenn er nicht darauf eingestellt sei: „Es ist, als gingest Du in einen Tarzàn-Film, und dann läuft auf der: Leinwand King Kong“, sagt Gilbert. Deshalb sei er aufgestanden und habe an der Kasse das Geld zurückverlangt.
„Da fingen die Probleme an“, sägt Gilbert. Die Organisatoren weigerten sich, ihm das Beschwerdeblatt auszuhändigen, eine Art amtliches Verbraucherschutzformular.
„Da rief ich die Guardia Civil. “ Denn bei allem Respekt für die Musiker: „Sie haben meinen Ohren und meinen Nerven geschädigt.“
Das Einzige, was er verlange, sei, dass auf den Plakaten klar stehe, ob es Jazz sei. Oder nicht.
Und Wynton Marsalis passt: Das Geschenk, so ließ der Geschädigte ausrichten, nehme er gerne an.
JAVIER CÂCERES (Süddeutsche Zeitung 23.12.2009 )