Freitag 18. Oktober '19    Einlass: 21:00  Beginn: 21:30  -  jazzkeller 69 stellt vor
AUFSTURZ   [Oranienburgerstr. 67]


Manfred Schulze Bläserquintett

Manfred SchulzeManfred Hering – alto sax
Heiner Reinhardt – tenor sax, bass clarinet
Roland Komitow – bariton sax
Paul Schwingenschlögl – trumpet
Jörg Huke – trombone

Klänge, gebündelt zu kollektiver Kraft, und individuelle Bläserlinien, die ausscheren, um dann schließlich doch wieder zu den anderen in Korrespondenz zu treten. Prozesse der Verdichtung und Entflechtung bis an die Grenzen zur Stille.
Klare Töne und alle nur denkbaren Übergänge hin zum Ausbruch in das Geräuschhafte, einfache Grundmodelle, die komplexe Überlagerungen von Komposition und Improvisation ermöglichen.

Das erste Bläserquintett stellte Manfred Schulze bereits 1969 zusammen. Mit seiner Musik geriet er zwischen die Lager.
In seinem Willen zur Improvisation und in seinem expressiven Gestus war er viel zu stark vom Jazz geprägt, um sich der Neuen Musik anzuschließen.
Zugleich entfernte er sich von der Nachahmung amerikanischer Vorbilder, ging er unbeirrt von Modeströmungen einen eigenen Weg.

Auch in den Zeiten des aufbrechenden Free Jazz wurde er missverstanden, denn sein Konzept war viel zu stark kompositorisch geprägt, um sich vorbehaltlos mit der gänzlich freien Improvisation assoziieren zu lassen.
Dass andere seine Musik als kompromisslos wahrnahmen, ließ Manfred Schulze unberührt. Er war nie der Bilderstürmer, für den ihn manche hielten oder zu dem sie ihn stilisieren wollten.

Manfred Schulze hat einfach anders gehört, musikalisch anders gedacht und anders empfunden. Und er hat nicht abgelassen von dem, was ihm seine innere Stimme sagte.
Manfred Schulze empfand eine starke Bindung an die mitteleuropäische Kulturtradition. Hindemith, Schönberg oder Webern, aber auch Bach und die deutsche Choral-Tradition, haben ihn ebenso geprägt wie Aufnahmen von Coleman Hawkins oder Sonny Rollins.
Die Ausformung all dieser Einflüsse zu einer eigenen musikalischen Sprache hat ihn harte Arbeit gekostet, schien ihm aber auch so plausibel, dass ihm das Unverständnis von Zeitgenossen, auch das von Musikern und insbesondere das von Veranstaltern, innere Qualen bereitete.
Anders als Musiker wie Ornette Coleman, denen späte Anerkennung zuteil wurde, hat man Manfred Schulze nie in dem Maße gehört und gewürdigt, wie er es verdient hätte.

Die Mitglieder des ROVA Saxophone Quartet feierten ihn, völlig zu Recht und für ihn überraschend, als das, was er war: ein Wegbereiter. Bei aller Unterschiedlichkeit der Stücke frappiert die Prägnanz, die Klarheit und die Direktheit der musikalischen Gedanken.
Mit innovativem Anspruch gesetzt und frisch im Gestus, lässt die Musik zugleich Traditionslinien aufscheinen, die bis zur Renaissance und ins Mittelalter zurückreichen.

Manfred Schulze sträubte sich stets gegen Kategorisierungen und entfernte sich schließlich vom Jazz ebenso weit wie von den Zirkeln der Neuen Musik.
Dennoch gelang es ihm wie nur wenigen, die Tugenden des Jazz, vor allem die der Improvisation, mit denen der europäischen Musiktradition in ein spannungsreiches Verhältnis zu setzen. Manfred Schulze leitete das Bläserquintett bis Anfang der neunziger Jahre.
Nach einer schweren Erkrankung lebte er von 1991 in einer Berliner Pflegeinrichtung, wo er 2010 verstarb.

Bereits 1993 formierten frühere Mitstreiter des Baritonsaxophonisten ein neues Bläserquintett, das mehrfach umbesetzt wurde und die Tradition weiterführt.
Nach wie vor dabei ist der Saxophonist Manfred Hering, der 1969 zu den Gründungsmitgliedern zählte. Auch Heiner Reinhardt spielte noch ab 1978 mit Manfred Schulze zusammen.
Anliegen der aktuellen Besetzung ist es, die originalen Kompositionen und Arrangements mit kreativer Kraft aufleuchten zu lassen.
Dabei offenbaren die Stücke ihren Manifest-Charakter: gleichzeitig kompliziert und wunderbar einfach, herausfordernd und erfüllt von einer unüberhörbaren Spielfreude, mit klar strukturierendem Verstand gesetzt und mit Hingabe zum Klingen gebracht.
~ Bert Noglik