Freitag 26. April '19


Eine Hommage, kein Gedenkkonzert: „Winter’s Welcome“

Ungewollt wurde das Konzert mit einer Reihe Berliner Musiker aus der mikrotonalen Klang-Avantgarde und dem Free Jazz zu einer warmherzigen Hommage an den britischen Jazzrock-Pionier und –komponisten Keith Tippett, der aufgrund einer schweren Verletzung der Wirbelsäule nicht zur Uraufführung seiner Suite „Winter’s Welcome“ für Blechbläser, Baß und Schlagzeug nach Berlin kommen konnte.

Das Werk war von Zinc & Copper, eine Vereinigung zur Förderung Neuer Musik für Blechblasinstrumente (Kernbesetzung: Robin Hayward Tuba, Hilary Jeffery, Posaune und Elena Kakaliagou Horn), beauftragt worden.
Tippett führte Anfang der 1970er Jahre jene stilbildende Gruppe kreativer Musiker an, die mit den Erfahrungen des Free Jazz eine rhythmisch geradlinigere, gleichwohl mit allen denkbaren Freiheiten (bis hin zu romantischen Melodien) ausgestattete Jazzstilistik entwickelten, die nur unzureichend mit „Jazzrock“ bezeichnet werden kann.
Viele dieser Musiker ergänzten die Stammbesetzungen von King Crimson und Softmachine.

Tippetts neue Komposition, beinahe 50 Jahre später, schloß nahtlos daran an. Das von jeher Tippett eigene Stilkonglomerat lebte erfrischt auf, erfrischt durch die Erfahrugen von fünf Jahrzehnten Neuer Musik, von Geräuschkontrolle bis zur äußersten Verfeinerung des harmonischen Denkens.

Ausgehend von der Keimzelle aus 4-Ton-Folgen des Kontrabasses entfaltete sich die ganze Vielfalt des Tippettschen Musik-Universums mit atemberaubender Rasanz.
Mit Flügelhorn, Horn, Posaune und Tuba hatte man keine Bigband vor Augen, wohl aber vor Ohren.
Tippett beherrscht als Komponist die Kunst der Bigband-Komposition für kleine Ensembles, wie sie auch Oliver Nelson oder Gil Evans gegeben war.
Sogar die wiedererkennbare Melodik Tippetts flammte auf, bevor turbulente Kollektivimprovisationen wie ein knisterndes Hitzegewitter (draußen strahlte ein ungewöhnlich warmer Februar-Nachmittag) darüberhinfegte.

Bemerkenswert der den Musikern von Zinc & Copper auf den obertonreinen Musikleib geschriebene langsame Satz, der auf die Eruptionen der vorigen Abschnitte mit komplexen in äußerster Konzentration hervorgebrachten harmonischen Wendungen antwortete.
Diese verwandelten sich in eine wohlklingende Elegie – bis andere Abschnitte rhythmisch prägnantere Aufgaben bereithielten. Die haarigen Taktwechsel schufen, da überraschend, einen rhythmischen Raum, wo vorher ein harmonischer war, Gitterstrukturen geradezu, die schließlich sogar das Gerüst für solistische Exkursionen (niemals ohne Orientierung: Hilary Jeffery auf der Posaune) bildeten.

Im zweiten Teil des Konzerts war eine Improvisation mit weiteren Jazzern, u.a. Tobias Delius, Saxophon, geplant, an der Tippett am Klavier hätte teilnehmen wollen – er wurde für diesmal kongenial ersetzt durch seine in Berlin lebende Landsmännin Julie Sassoon, deren gelenkiges, unruhiges Spiel mit harten Attacken eine unüberhörbare, vielleicht aus diesem Anlaß besonders forcierte Verwandtschaft mit des Meisters Spielweise offenbarte.
~ Matthias R. Entreß (http://www.entresz.de/)