Freitag 17. April '20    Einlass: 21:00  Beginn: 21:30  -  jazzkeller 69 stellt vor
AUFSTURZ   [Oranienburgerstr. 67]


Georg Graewe & Sonic Fiction Orchestra

GEORG GRAEWE & SONIC FICTION ORCHESTRA Frank Gratkowski – clarinets
Maria Gstättner – bassoon
Sara Kowal – harp
Martin Siewert – guitars
Joanna Lewis – violin
Laura Strobl – viola
Melissa Coleman – cello
Peter Herbert – bass
Wolfgang Reisinger – drums
Georg Graewe – piano

Mit Georg Graewe wird in diesem Jahr ein Musiker gewürdigt, dem der Jazz in Deutschland richtungsweisende Impulse verdankt.
Insbesondere durch die Ausformung einer ebenso freien wie konzisen Klang- und Formsprache, die von der amerikanischen Jazzklavier-Tradition genauso beeinflusst ist wie von der europäischen Kunstmusik, hat Graewe Maßstäbe gesetzt.
Sowohl als Solist als auch als Leiter verschiedener Ensembles wie dem GrubenKlangOrchester oder dem Georg-Graewe-Quartett konnte er sich internationales Renommee erspielen.
Besonders hervorzuheben ist sein langjähriges frei improvisierendes Trio mit dem Cellisten Ernst Reijseger und dem Schlagzeuger Gerry Hemingway.
Darüber hinaus hat Graewe mit vielen führenden Musikerpersönlichkeiten der Gegenwart kooperiert – darunter Anthony Braxton, Evan Parker, Roscoe Mitchell, Dave Douglas, Phil Minton, Barry Guy, Barre Phillips, John Butcher, Mats Gustafsson und Paul Lovens.
Neben seiner Arbeit als Pianist und Bandleader ist Graewe auch als Komponist aktiv. Sein Werkkatalog umfasst sowohl Opern, Kammermusik, Orchesterstücke als auch Arbeiten für Film und Fernsehen sowie Musik zu Theateraufführungen, Hörspielproduktionen und Videoinstallationen. Jurybegründung SWR-Jazzpreis 2015

Mit Finesse für Dramaturgie und Überraschungsmomente schichtet Georg Graewe für jede Stageband-Präsentation die Basispartitur aufs Neue um.
Kein unfreiwilliger Bruch, keine Verirrung in der Kommunikation, keine vordergründige Klanggebärde besetzen je Graewes Konzeption, noch die Umsetzung/Freiverwaltung des Ensembles.
Von Selbstverständnis dabei: der kreativitätskitzelnde Synergismus, erwirkt aus den Tugenden der neuzeitlichen, europäischen Musiktradition und dem modernistischen Jazzkanon.
Ein Elementarfokus im Schaffen des Pianisten, der mit bejahender Tatkraft an der Ausdifferenzierung seines individuell speziellen, musikentwicklungsgewichtigen Personalstiles feilt. Als Instrumentalist wie Komponist.

Oftmals leitet Graewe einen Ereignisablauf mit einem unbegleiteten Piano-Solo ein, taucht es in abstrakt gedachten, unprätentiösen Lyrismus, durchflutet von harmonischen Kühnheiten. Nachfolgende Spannungserhöhungen beschickt Graewe mit aus dem Ensemblekontext herausgelösten Kleingruppen.

Inmitten eingepflanzt sind texturelle Auflösungen oder Komprimierungen im Großformat. Auf Basis dieser Wechselwirkungen formt Graewe ein an Geschlossenheit ständig wachsendes Kollektiv. Er kann die Musik zusammenballen oder auseinanderfließen lassen, ohne sie der Intensität zu berauben. Warum sollte es nicht plötzlich ebenso in ellingtonscher Eleganz swingen? Das tut es, hinreißend.

Graewe ist zu einem musikalischen Modell gelangt, bei dem sich die Nachfrage betreffend komponierten und improvisierten Abschnitten nicht stellt. Wie merkte Pierre Boulez einmal an? „Zwischen Spontanem und Gelehrtem besteht von Natur aus kein Unterschied … der Impuls kann die Reflexion ebenso anstacheln wie das Kalkül die Geste beleben kann.“ Und Graewe erfindet in dieser Modalität.

Bleibt noch festzuhalten, dass er mit seinem Sonic Fiction Orchestra das derzeit inhaltlich relevanteste großformatige Konzept entworfen hat und zum engsten Kreis wegweisender, zeitgenössischer Jazzkomponisten zu zählen ist. Besser kann man sich nicht empfehlen.
~Brisantes Schall-Essay. Hannes Schweiger

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